Wir berichten regelmässig über Entwicklungen aus dem Bundesgericht. Vorliegend zum steuerrechtlichen Wohnsitz.
Natürliche Personen sind in der Schweiz beziehungsweise im Kanton aufgrund persönlicher Zugehörigkeit steuerpflichtig, wenn sie ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder Aufenthalt hier haben (Art. 3 Abs. 1 DBG; Art. 3 Abs. 1 StHG). Der steuerrechtliche Wohnsitz besteht – wie der zivilrechtliche (Art. 23 Abs. 1 ZGB) – am Ort, wo die steuerpflichtige natürliche Person sich in der Absicht dauernden Verbleibens aufhält und den sie sich zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat. Der Begriff des Wohnsitzes setzt sich damit aus einem objektiven äusseren und einem subjektiven inneren Merkmal zusammen.
Der steuerrechtliche Wohnsitz ist insofern nicht frei wählbar, als der gefühlsmässige Lebensmittelpunkt nicht entscheidend ist. Ferner ist die schriftenpolizeiliche Anmeldung nicht ausschlaggebend. Über den steuerrechtlichen Lebensmittelpunkt kann gemeinhin kein klarer Beweis geführt werden. Vielmehr sind die äusserlich wahrnehmbaren familiären, beruflichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und weiteren rechtserheblichen Lebensumstände zu ermitteln, abzuwägen und zu prüfen, ob sie den Schluss zulassen, es liege die Absicht des dauernden Aufenthaltes vor. Auch ein von vornherein bloss vorübergehender Aufenthalt vermag einen steuerrechtlichen Wohnsitz zu begründen, sofern er auf eine bestimmte Dauer angelegt ist und der Lebensmittelpunkt tatsächlich dorthin verlegt wird.
Die im Entscheid 2C_596/2020 vom 10. März 2021 (Link)durch das Bundesgericht zu beurteilende Situation ist infolge mehrerer Merkmale atypisch. Zunächst verfügen der Steuerpflichtige und seine langjährige Lebenspartnerin über zwei weitgehend gleichwertige Wohnungen, deren je hälftige Miteigentümer sie sind. Beide halten sich sowohl in der einen als auch der anderen Wohnung auf, wobei feststeht, dass die Lebenspartnerin werktags grundsätzlich im Kanton Zürich übernachtet, um das Wochenende im Kanton Graubünden zu verbringen. Weiter ist unstreitig, dass der Steuerpflichtige einen nicht unbeträchtlichen Teil seiner Zeit zusammen mit der Lebenspartnerin im Kanton Zürich verbringt. Sodann ist bemerkenswert, dass ein Beobachtungszeitraum von lediglich sieben Monaten vorliegt, konkret vom 01. Juni 2017 (Datum der Frühpensionierung) bis zum Jahresende. Zu entscheiden war damit, ob sich der Steuerpflichtige in diesen sieben Monaten im Kanton Graubünden mit der Absicht des dauernden Verbleibens aufgehalten und sich diese Gemeinde zum Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gemacht habe. Schliesslich kommt erschwerend hinzu, dass der Steuerpflichtige mehr als ein Viertel dieses bereits kurzen Beobachtungszeitraums im Ausland verbrachte und für eine grössere Anzahl von Tagen nähere Aufzeichnungen zu fehlen scheinen.
Die Veranlagungsbehörde beruft sich auf die sogenannte Konkubinatspraxis und leitet daraus den Weiterbestand der natürlichen Vermutung ab, dass der Steuerpflichtige im Kanton Zürich persönlich zugehörig sei.
Wie das Bundesgericht in Erwägung 2.2.4. ausführt, ist für die Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes einer sich abwechselnd an zwei Orten aufhaltenden Person (sog. alternierender Wohnsitz) darauf abzustellen, zu welcher der beiden Orte die bedeutenderen Beziehungen bestehen. Dazu ist individuell-konkret Fall die Würdigung sämtlicher rechtserheblicher Sachumstände notwendig.
Das Bundesgericht kommt schliesslich zum Schluss, die vorinstanzliche Beweiswürdigung sei nicht offensichtlich unrichtig und daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Entsprechend konnte das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich bundesrechtskonform zum Ergebnis gelangen, die Zweifel an der natürlichen Vermutung seien insgesamt derart erheblich, dass die natürliche Vermutung als widerlegt zu gelten habe und sich der Lebensmittelpunkt folglich im Kanton Graubünden befinde.
Der vorliegend besprochene Entscheid aus dem Bundesgericht verdeutlicht die komplexe Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes natürlicher Personen. Erschwerend kommt regelmässig dazu, dass beim Versäumnis einer Anfechtung der Veranlagungsverfügung des erstveranlagenden Kantons in Kenntnis des konkurrierenden Besteuerungsanspruchs eines weiteren Kantons die Verwirkung des Anfechtungsrechts eintreten kann. Dies führt zu einer allenfalls nicht mehr zu verhindernden Doppelbesteuerung durch zwei Kantone.
Grundsätzlich ist bei umstrittenem Wohnsitz oder drohendem Steuerdomizilverfahren der frühzeitige Bezug einer qualifizierten Vertretung empfehlenswert.
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